Es war 1993, als ich zusammen mit einem alten Schulkamerad in den Promarkt gegangen bin (damals noch in Roden situiert) und dabei gewesen bin, als er sich Mortal Kombat 2 gekauft hat, und wir waren damals 12 gewesen. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine USK, nur Altersempfehlungen und keinen großartigen Jugendschutz. Also haben wir als 12 Jährige halt ein ultrabrutales Spiel ab 18 gespielt. Einige Tage später wurde dann das Spiel auch indiziert und einige Zeit später sogar beschlagnahmt, was das Äquivalent zu einem Fatality in der deutschen Medienkontrolle entspricht. Nun, für die jüngeren Leser dieses Blogs (wenn es überhaupt welche gibt^^): Mortal Kombat ist ein Beat‘ em Up Spiel, das als erstes Spiel überhaupt auf 16bit Konsolen wie dem SNES realistische Spielfiguren verwendet hat, gepaart mit brutalen Schlägen und sogenannten Fatalities. Falls ein Gegner K.O. gegangen ist, besteht für den Sieger die Möglichkeit, ihm den Rest zu geben… den Rest geben beinhaltet Dinge wie Kopfabreissen, Eineisen und Körper zerschlagen oder jemanden in eine Grube mit mannshohen spitzen Stacheln schmeißen. Also genau das, was man mit einigen Killerspiel-Politikern auch gerne machen würde…
Worauf ich hinaus will, ist dass sich seit 1993 sehr viel getan hat. Jetzt, gut 16 Jahre später haben wir eine funktionierende Behörde, die das alles kontrolliert, große Symbole, die darauf hinweisen, für wen ein Spiel geeignet ist und Verkäufer in Fachmärkten, die auch tatsächlich nachfragen, ob man tatsächlich ein bestimmtes Alter erreicht hat. Nun, eigentlich sollte man doch zufrieden sein, aber dann kommt jedes Jahr mindestens einer auf die Idee, einen Amoklauf zu starten.
Die sofortige Meinung einer Politiker und Journalisten ist dann natürlich erschreckenderweise immer die Gleiche: Waffengesetze müssen verschärft und der Jugendschutz verstärkt werden. Sind das die Gründe oder die Katalisatoren einer solchen Katastrophe? Meiner Meinung nach sind das 2 verschiedene Paar Schuhe. Gründe sind meist in der Persönlichkeit zu suchen. Menschen, die nicht geliebt werden. Menschen, die gehänselt von ihren Kameraden. Menschen, die keinen Ausweg aus ihrer Situation sehen. Menschen, die sich keine schöne Zukunft ausmalen können. Perspektivlosigkeit, Lieblosigkeit, Freundschaftslosigkeit.
Knapp ein Fünftel der verstorbenen männlichen Jugendlichen im Jahr 2006 haben sich selbst das Leben genommen (Quelle) . Meiner Meinung nach sind die Amokläufe, die wir hier sehen in aller Regelmäßigkeit erweiterte Suizide. Die meisten Suizide bringen sich in ihrer Verzweiflung selbst um. Und dann gibt es die Leute, die sich in ihrem Wahn an ihren Peinigern rächen wollen. Und ich habe ehrlich gesagt noch von keinem Amokläufer bei Electronic Arts oder Blizzard Activision gehört.
Meiner Meinung nach sind Amokläufe eher im Kontext von Kamikaze-ähnlichen Manövern anzusehen. Prinzipiell gesehen seh ich da große Ähnlichkeiten im Ablauf. Man plant eine Mission, um seine Feinde zu vernichten, und dabei in Kauf nimmt, dass man das Ende der Mission nicht überlebt. Wie kann man sonst erklären, dass die Amokläufe immer in Schulen oder Arbeitsstätten stattfinden? Weil die Amokläufer dort den Grund ihrer Qualen erhalten haben. Und sich an den Menschen rächen wollen, die den Schaden beigebracht haben. In der Regel sind das meistens Leute, die zurückgezogen leben oder „unauffällig“ gewesen sind. Umgangssprachlich wird dabei natürlich gemeint, dass der Kerl ein Einzelkämpfer war und keine Freunde hatte und sich nicht an den Stil der anderen anpassen wollte. Eigentlich sollte das doch auffällig sein… oder?
Und hier sollte meiner Meinung nach die Politik einschreiten. Ich habs in meinem Leben in meiner Schulzeit ja selbst gesehen, wie unfähig und machtlos Lehrer und Schulleiter eigentlich sind. „Ich schneid dir die Eier ab“, wurde ich mal am ersten Schultag von Klassenkameraden empfangen. Daraufhin meinte der Direktor später, dass es nur darauf ankommen würde, ob „das Messer geöffnet oder geschlossen wäre“. Gut, es waren die 90er Jahre, da wurden solche Drohungen noch nicht ernst genommen. Aber es zeigt doch, dass einiges schief läuft in der Gesellschaft. Gewalt und Macht siegt leider doch immer noch über Intelligenz und Zuneigung.
Ich musste jahrelang mit solchen Dingen zurecht kommen, ob jetzt im Kindergarten, in der Grundschule, auf dem Gymnasium, beim Zivildienst oder selbst auf der Uni wird man gemobbt, ausgelacht oder Opfer von Machtspielen. Und ich muss zugeben, dass ich selbst viele Computerspiele gespielt habe, um meinen Frust abzureagieren. Gut, ich hab mich da lieber in einen TIE Fighter gesessen und dort zahlreiche Rebellen-X-Wings zerblastert. Mein Rekord lag in einem Level sogar mal ca. 120-130 Abschüsse in 20 Minuten. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, jemandem auch nur ein Haar zu krümmen. Ich bin sogar so gegen gewalt eingestellt, dass ich sogar Selbstverteidigung ablehne. Ich sollte mal in einen Win Tsun-Verein reingehen, aber ich bin nach der ersten Sitzung schon herausgegangen, weil im Endeffekt wieder Gewalt eingesetzt, wenn auch nur als letzte Instanz. Und da bin ich auch mit meinem gewaltlosen Widerstand am falschen Ort.
Ein weiterer Grund liegt in der heutigen Gesellschaft. Die Fernsehsender konfrontieren einen tagtäglich mit Reality-Shows, zeigen einem ein gestelltes Leben, einen Spiegel in eine Parallelwelt, die eigentlich nur in den Köpfen von Fernsehproduzenten, deren Autoren und deren Schnitt-Künstlern existieren. Das „wirkliche Leben“, das dort gezeigt wird, hat eigentlich nix mit dem zu tun, was in deren Werbeslogans versprochen werden. Und doch sind solche Sendungen ein Sprungbrett für Tausende, wenigstens einmal ihre 15 Minuten Ruhm zu bekommen, ob jetzt für ein perfektes Dinner, die Geschichte der Geburt eines Kindes, dem Neumöblieren eines Hauses, bei Missglückten Eltern oder starkverschuldeten Familien. Hauptsache die Quote zählt und man war einmal im Fernsehen. Und in diese Ecke kommen dann die Attentäter. Sie waren jahrelang in eine Ecke gedrängt worden, unbeachtet von sogenannten Freunden, Eltern und Lehrern, lebten ein Leben für sich allein, während langsam die Last und der Druck von oben immer schwerer wurden, bis zu einem Punkt, wo ein Schrei nicht mehr ausreicht, sondern wo man selbst sich ein Denkmal setzen will. Ich denke jeder Mensch hat das Bedürfnis, irgendwas im Leben zustande zu bringen, das die Menschheit voranbringt oder etwas zu erreichen, worüber Menschen sprechen. Ich selbst habe für mich diesen Schritt und diesen Wunsch schon immer gehabt, und ich fühle mich jetzt so langsam in einer Position, wo ich dies auch erfüllen kann, nach jahrelanger Arbeit und trotz vieler Rückschläge. Leider scheitern viele vorzeitig und sehen keine Zukunft für sich und wollen auf andere Art und Weise ein Zeichen setzen. Und dieses Zeichen sieht man dann in den Nachrichten…
Und diese Nachrichten werden immer mehr von inkompetenten Leuten besetzt. Leute, die irgendwann vor 10-20 Jahren einen Abschluss in Germanistik oder Journalistik hatten, und sich seitdem nur noch für das tägliche Tagesschäft interessieren. Immer muss man die besten, schnellsten und informativsten Nachrichten haben. Nicht immer sind die schnellsten Nachrichten die besten… Zu guten Nachrichten zählen lange Recherche-Arbeit und ausgewogene Berichterstattung. Das heißt, wenn Gerüchte gesendet werden (wie die Falschmeldung über die Ankündigung im Internet), dann sollten die erst mal genau geprüft werden und nicht einfach übernommen. Gerade in der heutigen Zeit, wo einfach nur eine kurze Änderung in einem Wikipedia Artikel sogar schon für eine Seite 1-Nachricht in der Bild werden kann. Mir scheint es vorzukommen, dass die Medien immer wieder den Ratschlag mitteilen, dass man „Medienkompetenz“ erhalten sollte. Aber selbst haben sie es noch nicht geschaft, diese Kompetenz zu erhalten. Und so kommt es schnell vor, dass unvorbereitete Journalisten schnell immer mit den gleichen Nachrichten kommen. Waffengesetze zu schwach, Killerspiele sinds schuld. Ist es nicht feige und jorunalistisch höchst fragwürdig, bereits wenige Stunden nach einer solchen feigen Tat, bereits erste Schlüsse zu ziehen, wenn noch nicht mal die Leiche des Attentäters vom Tatort entfernt wurde.
Nun gut, es ist immer leicht etwas zu verdammen, was man nicht kennt oder selbst erfahren hat. OK, es gibt durchaus Beispiele, die ich durchaus moralisch bedenklich finde. Es stimmt durchaus, dass Spiele wie Manhunt oder Postal nicht in Deutschland veröffentlicht werden. Das sind Spiele, die ich durchaus als Killerspiele anerkennen würde. Doch was ist überhaupt ein Killerspiel. Faktisch gibt es bislang noch keine genaue Definition dieses Begriffs (siehe hier). Das Tolle ist nur die Art, wie Medien diesen Begriff mit der Brechstange verwenden. Besonders auf Spiele wie Counter-Strike oder jetzt aktuell Far Cry 2 schießen sich die Leute regelrecht ein. CS beispielsweise ist das absolute Kultspiel unter den Jugendlichen von heute, und man ist schon etwas komisch dran, wenn man noch nicht einmal wenigstens für 5 Minuten einmal CS in seinem Leben gezockt hat. Insofern laufen da einige Leute schon direkt ins offene Messer, wenn man CS als Hauptursache ansieht. Vor allem, wenn man bedenkt, was das Spiel eigentlich macht. Da kämpfen in der Regel 5-Mann-Teams gegeneinander. Hm. Hat man jemals einen Amoklauf mit einem 5-Mann-Team gesehen? Ich noch nicht. Vielleicht liegt das auch daran, dass ein 5-Mann-Team ständig miteinander kommunizieren muss, sich absprechen muss, wo man agiert, wenn man das Spiel richtig spielen will. Kommunikation… hm… dazu braucht es Leute, denen man vertrauen kann. Freunde zB. Ach ja, solche Leute hatten in der Regel keine. Macht es also Sinn, ein solches Spiel direkt als Hauptursache zu verwenden? Ich könnte mich durchaus mit der Kauf-CD von Counter-Strike in meine alte Schule stellen und trotzdem niemanden damit töten (ausser man zerbricht die CD und benutzt die Scherben… aber ich schweife ab). Fakt ist, dass hier definitiv eins fehlt. Medienkompetenz. Erstens, weil ein 17-jähriger ein Spiel ab 18 spielt. Da stimmt schon mal was nicht. Zweitens sollte jemand ein Spiel kategorisch einordnen können. Zwischen jemandem schaden wollen und jemandem schaden liegt schon ein großes Loch. Und damit man dieses Loch nicht überquert, benötigt man Freunde. Gute positive Erfahrungen. Aufmunterungen und Perspektiven. Tischtennis spielen lenkt durchaus von dem täglichen Konflikt ab. Ich habe das selbst Jahre lang betrieben. Dennoch hat das das ursprüngliche Problem bei mir an der Schule nicht lösen können. Und hier kommen die Lehrer ins Spiel. Achtet nicht so sehr auf große Gruppen, wo was passieren könnte. Achtet lieber auf die Leute, die allein auf dem Schulhof herumlaufen. Die Probleme, die diese Leute haben, können sich durchaus zerstörerisch auf deren Zukuft auswirken. Ich hab meine Schwierigkeiten damals in etwas positiv umwandeln können. Jahreslanges Lernen und Arbeiten hat geholfen. Aber ich muss noch heute mit den Rissen in meiner Seele kämpfen, die ich damals in dieser Zeit erhalten habe…