Über den Wissenschaftsjournalismus – Die Nerdesthemen

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Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Nerdesthemen. Zum ersten Mal seit sehr sehr langer Zeit muss ich sagen. Aber ich denke mal zu einem passenden Zeitpunkt, denn wir befinden uns in einer sehr interessanten Zeit. Jetzt hier im Jahr 2020 in der Mitte einer globalen Pandemie. Die Frage ist aber, wieso kommt gerade jetzt wieder ein Video?

In den vergangenen Wochen habe ich auf diversen Sozialen Medien des öfteren Beiträge gesehen, die aus allen Richtungen kommen. Sei es von den in Anführungszeichen Mainstream-Medien oder auch aus vielen Alternativen Ecken. Viele Artikel versuchen die Grundlagen der aktuellen Situation dem normalen Bürger zu erklären, doch dies gelingt leider nur vereinzelt. Das Problem an dieser Situation wurde vor kurzem erst von MaiLab sehr gut dargestellt, und zwar, dass wissenschaftlicher Journalismus heutzutage leider nicht so vertreten ist, wie es eigentlich sollte. Meines Erachtens ist dies ein generelles Problem des heutigen Journalismus. Dadurch dass das heutige Leben sehr schnelllebig geworden ist, müssen Informationen nicht nur so schnell wie möglich geschrieben werden, sondern auch so schnell wie nur möglich konsumiert werden. 

Ein Beispiel aus der Vergangenheit. Im Sommer 2012 hatte die Europäische Organisation für Kernforschung CERN in Genf bekannt gegeben, dass nach langen Experimenten mit dem Large Hadron Collider endlich das sogenannte Higgs-Boson gefunden wurde. Für den normalen Nachrichtenkonsumenten hat dieser Satz natürlich sofort drei What The Fuck Momente. Was ist das für eine Europäische Organisation für Kernforschung? Was ist ein Large Hadron Collider? Und was ist ein Higgs-Boson?

Die Antwort auf diese Fragen sind stellenweise recht komplex und unsere heutige Kultur will nur mit Bulletpoints versorgt werden, damit man kurz und knapp das Thema verstehen kann und eventuell sogar mitreden kann bei Smalltalk-Diskussionen. Und hier liegt das Problem. Wenn man bestimmte Dinge vereinfacht und verkürzt darstellt, können zum Teil wichtige und kritische Elemente eines bestimmten Themas unter den Tisch fallen. Insbesondere, wenn jemand über ein Thema berichtet, das eigentlich aus einer anderen Sparte kommt. Also so wenn zum Beispiel Jörg Schönbohm ein Rennen der Formel Eins kommentieren soll oder Christian Danner und Heiko Wasser die Hochrechnungsergebnisse der Landtagswahl. Klar, sie können zwar vor der Kamera stehen und etwas präsentieren, aber ihre Kenntnisse sind in dem Moment gerade fachfremd. 

Klar, ich bin jetzt auch nicht der grösste Kenner über Medizin oder Physik. Aber ich denke mal, dass ich durchaus einen Einblick hatte in meiner bisherigen Karriere über wissenschaftliche Arbeiten und deren Methodiken. Und dazu gehört Recherche. VIEL Recherche. Insbesondere, wenn man neue Dinge einem wissenschaftlichen Publikum erzählen will, gehört eine große Fachkenntnis zum Thema und dem aktuellen Stand der Forschung dazu. Wenn man zu einem Thema forscht, versucht man zuerst herauszufinden, ob das Thema nicht bereits schon einmal entdeckt wurde. Falls es eine neue Arbeit ist, versucht man in der bisherigen Literatur Ansätze und Anknüpfpunkte zu finden. 

Was hat der Kollege aus einem anderen Lehrstuhl am anderen Ende der Welt in seiner Publikation vorgestellt, wo hat sein Thema aufgehört, welche Fälle hat er nicht betrachtet, wo hat sein Ansatz Schwierigkeiten? Und an diesen Punkten kann man dann anfangen. Man kann den Ansatz des Kollegen durch eine neue Erweiterung verbessern, eine Auflistung anderer, ähnlicher Ansätze zusammenführen oder einen vollkommen neuen theoretischen Unterbau entwickeln, der in der eher praktisch orientierten Vorarbeit gefehlt hat. Dann forscht man, was das Zeug hält, das heisst man entwickelt seine Theorie, macht seine Experimente, zeigt Unterschiede auf und zieht Schlüsse auf. Das Ergebnis wird dann abgerundet durch zahlreiche Referenzen auf Arbeiten von wissenschaftlichen Kollegen im entsprechenden fachlichen Themenbereich. Und dann gibt man eben diesen den eigenen Text zum Überprüfen. Peer-Review nennt man das. Wissenschaftler aus dem gleichen Fach, aber aus anderen Lehrstühlen, die weltweit verstreut sind, nehmen die Publikation unter die Lupe, versuchen es nach Fehlern und Widersprüchen abzuklopfen und dann kann es auf einer wissenschaftlichen Konferenz oder in einem wissenschaftlichen Journal publiziert werden.

Das Problem hierbei ist aber: Die Ergebnisse der eigenen Forschung sind nur in einer relativ kleinen Community einfach zu erklären. Mein damaliger Professor an der Universität hatte damals ein fast schon einmaliges Talent dafür gehabt, komplexe Dinge einfach zu erklären. Ein Beispiel war Kompressionsalgorithmen für Bilder basierend auf partiellen Differentialgleichungen zu erklären. Für diejenigen, die hier aussteigen sei gesagt, dass damit gemeint ist, dass mit Kompressionsalgorithmen die Grösse von Dateien reduziert werden kann, damit zum Beispiel Bilder nicht nur schneller versendet und empfangen werden können, sondern auch weniger Speicher auf den Servern belegen müssen. Die Ansätze waren anders als die Standard-Algorithmen, die von der Industrie eingesetzt worden sind, aber das Grundprinzip konnte mit einem Bild recht anschaulich vermittelt werden. Angenommen, man kann in einem Raum beliebig viele Heizungen aufstellen, dann kann sich die Hitze, ausgehend von den Heizungen nach einiger Zeit verteilen. Diffusion halt. Und mit diesem Prinzip kann man dann aus einer beliebigen Anzahl von vordefinierten Pixeln und fixen Helligkeitswerten an diesen Punkten ein Bild rekonstruieren.

Das aber war nur eines von wenigen positiven Beispielen. Sehr oft wird vom sogenannten Elfenbeinturm gesprochen, in dem sich viele Wissenschaftler angeblich befinden sollen. Und hier liegt das große Problem darin. Wissenschaft selbst ist zwar schon schwierig genug, aber noch schwieriger ist es, das Problem, das man eigentlich lösen will, für den Normalbürger einfach zu beschreiben. Wenn man nun als wissenschaftlicher Laie versuchen will, etwas zu verstehen, muss man an dieser Stelle zuerst mal mit den Grundlagen anfangen. 

Eine der grössten wissenschaftlichen Hauptarbeiten ist die Quellenrecherche. Wie eben schon gesagt, will man zuerst einmal herausfinden, ob die Idee, die man da hatte, nicht schon vor Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten schon mal vorgekommen ist. Und die Chance ist sehr, sehr hoch, dass dies schon einmal passiert ist. Schnell findet man das eine oder andere Paper, wo man dann als Wissenschaftler einmal laut „Scheisse“ rufen will, weil die neue Formel, die man sich hergeleitet hat, bereits seit über 20 Jahren im japanischen Wissenschaftsraum veröffentlicht wurde, aber wegen der Sprachbarriere nicht in den westlichen Raum gekommen ist. Aber das ist auch nicht so schlimm, denn dann kann man wieder Lücken in alten Theorien finden, Experimente, die damals fehlgeschlagen sind, die man dann für weiterführende Forschung nutzen kann. Und dann kann es oft passieren, dass man stundenlang in einem Raum sitzt und dabei ein Paper nach dem anderen durchlesen muss. 

Dadurch, dass diese Paper mit einem Peer-to-Peer-Reviewprozess begutachtet werden, kann man den Resultaten aus anderen, bereits veröffentlichten Publikationen vertrauen. Im Bereich der mathematischen Bildverarbeitung, also dort, wo ich vor ein paar Jahren gearbeitet habe, war dies auch recht vergleichsweise einfach nachzuvollziehen. Manchmal kann man vom Schreibstil eines Papers schon auf Autoren, bzw. sagen wir mal, erweiterte Dunstkreise schliessen, aber ist es stellenweise auch relativ einfach, bestimmte Algorithmen selbst nachzuvollziehen, indem man sie selbst nachimplementiert und abtestet. Reproduzierbarkeit ist das A und O einer jeden wissenschaftlichen Studie. Ist es möglich, dass man die Ergebnisse einer Studie mit eigenen Experimenten nachvollziehen kann?

In dem Augenblick, in dem aber empirische Studien über eine grosse Testreihe durchgeführt werden, wird die Reproduzierbarkeit schwieriger. Die eine Studie hat vielleicht 100 Probanten untersucht, die andere 500 freiwillige Studenten, eine andere hatte nur 20 Teilnehmer. Basierend auf diesen Datenmengen kann dann das Ergebnis zum Teil unterschiedlich ausfallen. Wenn dann aber eine Studie zum Beispiel Rückschlüsse auf zum Beispiel Krebserkrankungen liefern will, sieht die Sache dann anders aus. Solche Themen sind auch interessant ausserhalb der eigenen Wissenschaftsblase und springen oft in den Mainstream-Journalismus über. Diese schreiben dann aber nur sehr verkürzt über das Endergebnis der Studie. Studie XXX berichtet zum Beispiel, das zu häufiger Konsum von X krebserregend sein kann. Informationen über die Hintergründe der Studie, also wie diese Daten und Schlüsse gezogen werden konnten, in welchem Kontext, unter welchem Hintergrund, sind in der Regel in diesen Berichten relativ selten zu finden. Stellenweise fehlen dann hier aber auch noch andere wichtige Fragen: Wurde die Forschung von einer Firma oder Organisation bezahlt und wie seriös sind die Magazine oder Konferenzen, in denen die Forschung publiziert wurde. 

Aber kommen wir zu einigen der Probleme, die ich heutzutage in den Sozialen Medien alltäglich sehe, insbesondere bei Leuten, die ausserhalb meiner eigenen Filterblase agieren. Das eine ist die gefährliche Verkürzung wissenschaftlicher Aussagen, fehlende Quellenanalyse- und recherche, sowie fehlendes mathematisches Verständnis, um bestimmte Aussagen zu verstehen.

Kommen wir zum ersten Punkt: Die Verkürzung wissenschaftlicher Aussagen.

Ich will dies mit einem ziemlich persönlichen Beispiel erklären.

Wenn ich zum Beispiel behaupten würde, ich habe mir vor vier Jahren ein Auto gekauft, nur damit ich ein Paket aus einer Packstation abholen konnte, würde mich wahrscheinlich auch jeder für verrückt erklären. Ich hab das aber auch wirklich so durchgezogen. Das Problem ist aber nur, dass dieser kurze Satz die Geschichte nur auf den Start- und den Endpunkt reduziert: Ich hatte ein Postpaket, das in der Nähe von Stuttgart auf mich wartete, während ich mich in meiner saarländischen Heimat befand. Es war Anfang Herbst, als ich mich nach einem langen Arbeitsjahr endlich meinen zweiwöchigen Jahresurlaub begann. Mein Auto war zu dem Zeitpunkt kurz vor dem Zerfall, der TÜV war kurz vor dem Ende und der Motor war viel zu laut. Also beschloss ich mich dazu, diese zwei Wochen dazu zu nutzen mir ein neues Auto zu kaufen. 

Kurz davor hatte ich mir auch ein neues Spiel für die Playstation bestellt, die limitierte Sonderedition von Rise of the Tomb Raider, mit einer riesigen Lara Croft Figur. Verschickt hätte sie eigentlich schon seit Tage vorher gewesen sein sollen, aber die Bestätigung hatte bislang gefehlt. Also wartete ich am Montag nachmittag bis zum letztmöglichen Zeitpunkt, ob sie jetzt doch schon verschickt werden sollte, oder ob es schon vom Postboten zugestellt werden sollte. Abends wurde ich schon von meinen Freunden im Saarland erwartet, wo wir montags abends immer ein regelmässiges Quiz-Treffen haben. Um 16 Uhr hab ich dann die Amazon-Seite aufgemacht und  hab mir dann gedacht, dass ich doch eigentlich den Zustellort ändern könnte zu einer anderen Packstation im Saarland. Also öffnete ich die Bestellseite… und konnte nichts mehr ändern… Irgendwas passierte gerade mit meiner Bestellung. 2 Minuten später kam dann auch schon die Bestätigung per Mail. Das Paket wurde soeben verschickt, Zustelltermin ein Tag später. Toll. Klasse. Ich konnte nun nichts mehr machen, also bin ich ins Saarland gefahren. Tags drauf wurde das Paket dann tatsächlich in eine Packstation im schönen Esslingen am Neckar zugestellt. Allerdings sollte dieses Paket nur innerhalb der folgenden 9 Kalendertage in dieser Packstation verbleiben. Und dann würde es wieder zurückgeschickt werden. Da die limitierten Kapazitäten dieser Bestellung schon ausverkauft waren, musste ich es also selbst abholen, bevor es wieder zu amazon zurückgeschickt werden würde. 

Als erstes würde einem sofort die Idee kommen und zu sagen, man könnte doch das Paket von einer Packstation zu einer anderen schicken. Geht aber nicht, erst recht nicht, wenn sie schon zugestellt wurde. Wurde mir dann auch per Korrespondenz mit dem DHL-Kundenservice so mitgeteilt. Der andere schlaue Vorschlag von Freunden war, dass ich doch jemand fragen könnte, der das Paket für mich aus der Packstation entnehmen könnte. Geht aber auch nicht, da man dazu eine bestimmte Karte benötigt, um sich als Postkunde auszuweisen… und die hatte ich mit mir ins Saarland genommen. Also blieb nur eine Möglichkeit: In der Mitte des Urlaubs kurz nach Esslingen zu fahren um das Paket aus der Packstation zu entnehmen und dann wieder zurückzufahren.
Gut, am selben Tag machte ich mich dann aber mit meinem Vater und einem meiner besten Freunde auf die Suche nach einem neuen Gefährt. Bei der ersten Station waren wir noch nicht allzu fündig geworden, allerdings gab es bei der zweiten Station einen Jahreswagen, der mir sehr gut gefallen hatte. Eine Probefahrt wurde für den folgenden Tag organisiert und am nächsten Tag hab ich mich dann dazu entschlossen, dieses Auto dann auch zu bestellen.

Die Frage, die dann allerdings aufkam, war eine sehr interessante: An welchem Ort möchte ich denn das Auto anmelden. Ich hätte das Auto durchaus in meiner Heimat anmelden können, aber ich wollte eigentlich das Auto am aktuellen Wohnort anmelden. Der Autohändler sagte mir dann, dass das Autohaus im Saarland die Anmeldung des Autos selbst machen könnte, aber nicht ausserhalb des Saarlandes. Das heißt, ich musste es selbst in Esslingen anmelden innerhalb der nächsten Tage. Und genau das war der Anlass, den ich gebraucht habe, um das Paket aus der vertrackten Lage in der Packstation zu befreien. Ich erhielt mehrere Erinnerungsnachrichten, dass sich da ein Paket von mir noch irgendwo befand, die mich immer nervöser machten. Am folgenden Wochenende war es dann soweit. Mit dem Zug ging es zurück nach Esslingen und nach einem kleinen Trip mit der S-Bahn konnte ich dann das Paket nach knapp 6 von 9 Tagen aus der Packstation befreien. Die Anmeldung des Autos erledigte ich dann am nächsten Morgen und ich war passend zum Mittagessen wieder in der Heimat. Zwei Tage später habe ich dann mein neues Auto erhalten. Ein tolles Auto. Aber, wenn mich einer fragen sollte, sage ich immer, dass ich das Auto nur gekauft habe, um das Paket aus der Paketstation in Esslingen zu fischen.

Klar, es klingt verrückt. Aber nach der Erklärung dieses ellenlangen Kontextes macht diese Verkürzung auch wieder Sinn. Aber niemand hört oder liest gerne heutzutage eine 5 Minuten lange, langweilige Geschichte über Sinn und Unsinn eines Pakettransports innerhalb des deutschen Postsystems. Niemand nimmt sich die Zeit, um anderen zuzuhören, was man sich gegenseitig erzählt. Alles muss auf kurze Stichpunkte zusammengekürzt oder auf schlagkräftige Headlines reduziert werden. Bei einem Vorstellungsgespräch bei einer Firma vor ein paar Jahren sollte ich meine Aussagen auf wenige, kurze, prägnante Sätze reduzieren. Gut. Sagen wir mal so. Das ist bei mir schwierig. Ich mag es halt, komplexe Dinge in epischer Breite zu erzählen. Wie eben schon bei der Paket-Geschichte gesehen. Dementsprechend war das Vorstellungsgespräch auch nicht sehr erfolgreich gewesen. Aber, man sieht auch, dass eine Verkürzung auf kurze Sätze stellenweise kaum möglich ist, bzw. schwierig ist, und besonders bei Dingen, die sehr viel Fachwissen benötigen und bei entsprechendem Kontext kann eine Verkürzung auf Bullet Points geradezu fast schon tödlich sein. 

Und dies ist eines der Kernprobleme der heutigen Zeit. Wir hören anderen Menschen nicht mehr zu. Wir wollen nur noch die kurze 5-Minuten-Zusammenfassung der Nachrichten sehen, anstatt die Tagesthemen am Abend. Die Mitarbeiter des CIA, die das tägliche Briefing für Donald Trump vorbereiten wissen mittlerweile genau, wie sie ihre Reports zusammenschreiben müssen, damit der Commander in Chief nicht nach 2 Sätzen das Interesse am Thema verliert. Wir sehen nur noch die Breaking News Headlines bei aktuellen Ereignissen im Vorbeigehen als Kurznachricht der Nachrichten-App oder als 140-Zeichen-Botschaft (bzw. mittlerweile 280) auf Twitter. Das Wieso-Weshalb-Warum einer Nachricht bleibt aber im Verborgenen.

Ich lese immer wieder von einigen Leuten auf Facebook oder Twitter Nachrichten von Usern, die die aktuellen Maskenregeln kritisieren. Zum Beispiel wird behauptet, dass einige Ärzte die Meinung haben, dass das Maskentragen eine medizinische Unsinnigkeit sei. Klar, wenn in einem engen Raum mit 100 Leuten nur eine Person eine Maske trägt, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass ich mich anstecken könnte, sollte in dem Raum eine infizierte Person sein. Auf der anderen Seite ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass ich mich anstecke, wenn jeder eine Maske tragen würde. Wenn es einen 100% Schutz geben sollte, müsste ich eigentlich im ABC-Kampfanzug ausserhalb meiner Wohnung rumlaufen. Und ich denke, dass dies relativ unpraktikabel ist. Dies ist meiner Meinung auch das Problem innerhalb der Kommunikation der Medien und Politik. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es eigentlich nur dann, wenn niemand mehr Kontakt zu anderen Personen hätte. Aber auch dieses Szenario eines Total-Lockdown ist nicht praktikabel. An der Stelle sollte eigentlich eher die Botschaft sein, dass Masken dazu genutzt werden, um das Ansteckungspotential und Infizierungsrisiko zu minimieren. 

Ein weiteres Problem ist das fehlende mathematische Verständnis bestimmter Konzepte, die innerhalb einer Pandemie wichtig sind. Das sind einerseits Exponentialfunktionen und bedingte Wahrscheinlichkeiten. Als ich noch in die Schule gegangen bin vor knapp 20 Jahren, waren diese Themen eigentlich erst innerhalb der letzten beiden Jahren der gymnasialen Oberstufe drangekommen. Falls hier einige Lehrer zuschauen sollten, wäre ich froh um ein Feedback darüber, wie diese Themen heutzutage in den Schulen gelehrt werden. Aber kommen wir zum Thema selbst. Bei bedingten Wahrscheinlichkeiten geht es um die Frage, ob ein Ereignis eingetroffen ist, unter der Bedingung, dass ein anderes Ereignis eingetreten ist und gleichzeitig greift. Klassisches Beispiel sind HIV-Tests, die angewendet werden, um herauszufinden, ob sich jemand mit dem HI-Virus angesteckt hat. In der Schule haben wir an der Stelle immer angefangen Baumdiagramme aufzuzeichnen. Zuerst einmal betrachtet man die Ergebnisse eines Tests, ob dieser positiv oder negativ ausgefallen ist. Dann wird dieses Ergebnis noch einmal verfeinert: Ist das positive Ergebnis erfolgt unter der Bedingung, dass man wirklich die Krankheit hat oder ist es ein sogenanntes Falsch-positives Ergebnis: Also ist der Test positiv ausgefallen, auch wenn man selbst nicht infiziert ist. Auf der anderen, also negativen Seite betrachtet man die Fälle, dass ein Test negativ ausgefallen ist unter der Bedingung, dass man auch wirklich nicht die Krankheit hat oder ist der Test negativ ausgefallen auch wenn man erkrankt ist, ein Falsch-Negatives Ergebnis also. Und an dieser Stelle flippt die Filterblase dann aus. Den Testergebnisse könne man doch nicht trauen. Die Tests kann man nicht dazu verwenden, um den Virus nachzuweisen. Wenn ihr jetzt meint, dass ich von Sars-CoV2 spreche, habt ihr zum Teil zwar recht, aber diese Aussage gilt auch für den HIV-Test. Auch hier gibt es einen vergleichsweise hohen Anteil an Falsch-Positiven Ergebnissen. Aus diesem Grund werden bei positiven HIV-Tests in dem Fall weitere Tests durchgeführt, um das Ergebnis zu bestätigen. Bei HIV hat man in den meisten Fälle noch Zeit weitere Tests durchzuführen. Bei Sars-CoV2 zählt allerdings jede vergehende Minute, da man im Falle einer Infizierung ansteckend ist und andere Menschen anstecken kann. Und ausserdem sind die Testkapazitäten auch nur begrenzt, um jemanden innerhalb kürzester Zeit mehrfach zu testen. Eigentlich kann man den Test nicht als Test ansehen, der eindeutig bestätigt, ob man infiziert ist, sondern als Test ansehen, der mit höherer Wahrscheinlichkeit bestätigen kann, dass man eben nicht infiziert ist. Und das gilt sowohl für den HIV-Nachweis, als auch für den Sars-Cov2-Nachweis. Denn das, was einen interessiert ist eigentlich eher die Wahrscheinlichkeit, dass man wirklich erkrankt ist, unter der Bedingung, dass der Test positiv war und nicht umgekehrt. Dementsprechend sollte man immer vorsichtig sein bei Aussagen über bedingte Wahrscheinlichkeiten. 

Ein weiteres mathematisches Modell, das meist unterschätzt wird, ist der exponentielle Wachstum. Es gibt eine schöne Legende, die besagt, dass zu Zeiten eines indischen Königs vor ca. 1500 Jahren eine Person namens Sissa ibn Dahir vom König eine bestimmte Anzahl von Weizenkörnern   haben wollte. Dazu nahm er ein Schachbrett mit 64 Feldern und legte auf das erste Feld ein Weizenkorn, auf das zweite 2, auf das dritte vier und auf das vierte acht Körner. Dann sagte er, dass er gerne so viele Weizenkörner haben wollte, wie nach dieser Rechenformel auf das Schachbrett draufgelegt werden müsste. Der König gab ihm dann einen Sack mit Weizenkörnern, woraufhin sich Sissa beschwerte, dass dies jemand genau nachrechnen sollte. Denn, wenn man alles aufsummiert, also die Summe aller Zweierpotenzen bis 2^63 kommt man auf die Stolze Summe von 18,446 Trillionen. Und das ist das fatale an einer exponentiellen Entwicklung. Diese Rechnung kann man genauso gut auf den Verlauf einer Pandemie übertragen. Wenn eine infizierte Person genau 2 Personen ansteckt, sind dies nach 14 Tagen bereits über 32000 Personen. Und in diesem Modell sind nicht mal weitere Parameter wie Länge der Ansteckungszeit oder der genaue Ansteckungsgrad integriert. Fakt ist, diese Zahl sollte nicht über 1 sein, denn je grösser diese Zahl ist, desto stärker explodiert der Ausbruch. Mit Hilfe der bisherigen Massnahmen konnte man es bislang schaffen, diesen Wert weitestgehend bei 1 zu halten, ist aber jetzt bei einem Wert, der etwas über der 1 liegt. Was man allerdings nun der Politik vorwerfen kann, ist die Tatsache, dass einige der Massnahmen, die in den letzten Wochen beschlossen wurden, zum Teil nach extremem Würfeln und Ressentiments aussehen. Man kann den Wunsch verstehen, dass Menschen aus Regionen, die als Risikogebiet deklariert worden sind, nicht in die eigene Region kommen sollen, da man befürchtet, dass die eigenen Zahlen dann nach oben gehen würden. Das Problem soll bei den anderen bleiben. Man könnte fast meinen, dass man eine ähnliche Problematik schon einmal in den letzten vergangenen Jahren gehabt haben könnte. Mit den gleichen nicht funktionierenden Massnahmen. Aber ich schweife ab.

Aber kommen wir zum dritten Punkt, den ich derzeit in der aktuellen Medienlandschaft und vor allem in den sozialen Netzwerken kritisiere: Dass man heutzutage nicht mehr unterscheiden kann zwischen Fakten und Meinungen. Bleiben wir in der Mathematik. Aufgrund der bestehenden Rechenregeln gilt die Aussage 2+2=4. Wenn ich im Matheunterricht bei der Frage, was denn nun 2+2 sein könnte, 5 antworte, bekomme ich von meinem Lehrer einen Punktabzug, da ich einen eindeutigen Fehler gemacht habe. Wenn ich allerdings darauf beharre, dass 2+2=5 wäre, ist das allerdings kein Fakt, sondern eine Meinung. Und meinem Lehrer gegenüber ein Zeichen dafür, dass ich die Matheregeln nicht verstanden habe.

Nun, ich hatte in meiner Schulzeit nicht nur Mathe als Leistungskurs gehabt, sondern auch Geschichte. Mein Geschichtslehrer, den ich damals hatte, war ein grosser Verfechter von Quellenanalysen. Ich muss zugeben, dass ich eigentlich ein Faktenlerner war, der historische Daten geradezu aus Büchern ausgesaugt hatte. Allerdings war dieses Faktenwissen kaum eine Hilfe gewesen, denn zumeist ging es in den Kursarbeiten nur um Quellenanalysen. Zu dem Zeitpunkt war ich manchmal über die Art dieser Kursarbeiten sauer gewesen, aber im Nachhinein, also gut 20 Jahre später, habe ich einen neuen Respekt gefunden für diese Klausuren. Wenn man eine historische Quelle analysiert, muss man sich immer fragen, wann eine Quelle verfasst wurde, aus welchem Grund und mit welchem Vorwissen es geschrieben wurde. Gerade in Zeiten, in denen Fakten, die bestimmten Personen in Machtpositionen nicht gefallen, als Fake News bezeichnet werden, sollte man immer eine Nachrichtenquelle hinterfragen, was wer wie ausdrücken will mit einer Botschaft. Das beginnt bei Beiträgen in sozialen Medien, Aussagen von Politikern, Wissenschaftlern und auch Medienbeiträgen. Will eine Publikation eine komplexe Sachlage erklären oder ist der Beitrag eine lange und ausführliche Kritik von Massnahmen. Oder beides. Im Grunde genommen ist dieses Video, das ihr hier seht auch eine Mischung aus beidem. Was ich aber in letzter Zeit immer häufiger gesehen habe ist, dass Beiträge, die eindeutig in die Kategorie „Fakten“ gehören als Kommentar angesehen werden und „Kommentare“ als Fakten angesehen werden, denen dann auch jedwege Quellenangaben fehlen. Oder, und das ist stellenweise noch schlimmer, es gibt Zitate, die dann aber vollkommen aus dem Kontext gerissen werden und die ursprüngliche Aussage massivst verzerren. Und diese Kritik kann man durchaus gegen jegliche Form von journalistischen Medien jeglicher politischer Färbung vorbringen, denn zugegeben sind die wenigsten Journalisten fähig wissenschaftliche Arbeiten zu verstehen oder darzustellen. Klingt leider hart. Ist aber leider so. Wissenschaftlicher Journalismus ist heutzutage leider schwach vertreten in der Gesellschaft. Dazu gehört die Erklärung von vermeintlich langweiligen Themen wie Exponentialfunktionen oder bedingten Wahrscheinlichkeiten. Dies wird dann auf die Bildung verschoben, aber gerade wenn die Diskussion um solche Themen kreist, muss man erst mal die Handbremse ziehen, um alle auf einen gleichen Bildungsstand zu bringen. Denn sonst sagt der eine, dass 2+2 3 ist, der nächste 6, der nächste wiederum 2 und so weiter. 

Allerdings muss man hier auch aufpassen, wie man seine Recherchen durchführt. Gerade in Zeiten, wo Verschwörungstheorien wie der Flachen Erde, Impfgegnern oder QAnon sich immer ausbreiten innerhalb der Gesellschaft, sollte man bei der Quellenrecherche besonders vorsichtig sein. Wie bereits vorhin gesagt, sind die meisten wissenschaftlichen Publikationen Teil eines grossen Publikationsprozesses. Will man ein Paper publizieren, muss dieses Paper erst einmal durch einen Review Prozess, bei dem andere Wissenschaftler das Paper begutachten und genau überprüfen, ob die Aussagen haltbar sind, Experimente nachvollziehbar und reproduzierbar sind und die Schlüsse, die gezogen werden auch wirklich schlüssig sind. Erst dann wird das Paper zur Veröffentlichung in einem Journal oder auf Konferenzen zugelassen.    araus einen Artikel, kann dies zu massiven Problemen führen. Dies zerstört nicht nur die Reputation der eigenen Presse-Publikation, sie zerstört auch den Glauben an die Wissenschaft und an die Massnahmen, die von den Publikationen der Wissenschaft abgeleitet werden. Es ist das Prinzip der stillen Post und ein Zeichen von gegenseitigem Verständnis und vermutlich auch ein Problem unserer heutigen Zeit, wo Publikationen meist so schnell wie möglich veröffentlicht werden müssen. Zum Teil dann auch ungeprüft. Bei journalistischen Publikationen gibt es zwar auch eine Art Peer Review, was in dem Fall andere Kollegen oder der Chefredakteur sind, aber die sind zum Teil auch keine Experten auf dem jeweiligen Gebiet. 

Bisher hab ich allerdings nur von journalistischen Publikationen wie dem Spiegel, Tagesschau oder anderer Nachrichtensendungen und Zeitungen und Zeitschriften gesprochen. Bei Blogs im Internet oder auch nur Social Media Präsenzen von Influencern jeglicher Couleur sieht die Sache anders aus. Da gibt es eigentlich keinen Chefredakteur, der noch einmal quer liest. Da wird zum Teil rausgefeuert, was das Zeug hält. Themen werden maximal verkürzt, da wird Whataboutism betrieben, Äpfel mit Birnen verglichen und die Faktenlage so verdreht, dass die eigene Meinung unterstützt wird. Quellen werden hier meist unterschlagen oder die Aussagen durch Verkürzungen so verfälscht, dass die Originalquelle unbrauchbar ist. Oftmals wird dann aber auch behauptet, dass man selbst nachforschen soll… ohne dann auch nur eine Quellenangabe zu geben, die die eigene Aussage untermauern. Und hier liegt das Problem der heutigen Verschwörungstheoretiker, die diese Personen mit offenen Armen empfangen und mit noch abstruseren Dingen füttern, wie eben die im Moment kursierende QAnon-Verschwörungstheorie, die in den USA bereits seit knapp 4 Jahren aktiv ist. Zu einem Zeitpunkt waren Anhänger von QAnon sogar dafür verantwortlich, dass James Gunn von Disney zeitweise als Regisseur für Guardians of the Galaxy 3 gefeuert wurde. Ja. Das ist passiert. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Video. 

Was ich euch aber als Abschluss dieses Videos mitgeben möchte, ist dass ihr bei Publikationen, die ihr seht, hinterfragt, woher sie kommen und welche Aussage sie haben. Sind es Meinungsportale, offizielle Publikationen, wissenschaftliche Publikationen und stellt euch immer die Frage, welchen Nutzen hat der Autor von der publizierten Meinung oder handelt es sich doch um reine Fakten, die vermittelt werden.

Ich hoffe, euch hat dieses Video gefallen, dementsprechend würde ich mich freuen, wenn ihr Kommentare hinterlassen könntet, allerdings bitte ich euch auch darum zivil zu bleiben, denn es gab auch schon Videos über Verschwörungstheorien auf diesem Kanal, bei denen die Kommentarsektionen … sagen wir so… etwas schmutzig geworden sind, denn ich würde auch gerne eure Meinung zu diesem Thema hören. Ich wünsche euch noch alles Gute und bleibt weiterhin gesund.

Bis dann 

Euer Kai

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