SOPA, PIPA, ACTA, FUCK – Teil II

Nachdem ich mich gestern sehr ausführlich mit der aktuellen Medienlandschaft auseinander gesetzt hatte und den teilweise veralteten Vertriebsmodellen, möchte ich im heutigen zweiten Teil mein Augenwerk auf die Versuche aus Industrie und Politik legen, die die freie Entwicklung des Internets zurück in die Steinzeit werfen möchten.

In meinem gestrigen Beitrag habe ich kurz angeschnitten, dass durch die Apps, Tools und Programme der heutigen Zeit auch jeder normale Bürger dazu in der Lage ist, seine eigene Meinung und seine Kreativität auszuleben und dadurch neue Kunstwerke kreiieren kann. Wie zum Beispiel eigene Bücher schreiben und diese in einem Onlinestore ohne langen Vertriebsweg direkt zu verkaufen ohne von Mittelsmännern abhängig zu sein. Oder man kann sich einfach vor eine Kamera oder Webcam daheim sitzen und über alle möglichen Themen reden, einen Podcast aufzeichnen oder selbst geschriebene Musik bei youtube hochladen. FreddieW hat zum Beispiel einen einmaligen youtube Channel, wo praktisch jede Woche ein kleines Video hochgeladen wird, das einen ständigen Bezug zur Popkultur hat, diese aber gespickt sind mit Hollywood artigen Special Effects, zum Beispiel hier zum Thema Mario Kart. Fernsehkritik.tv ist ein journalistisch aufbereiteter Blog, der sich regelmäßig mit dem geistigen Verfall des deutschen Fernsehens beschäftigt und dabei stellenweise böse Missstände aufzeigt. Redlettermedia veröffentlichten ihre „Plinkett Reviews“ und kommentieren die Filmstrukturen von Filmen wie die neue Star Wars Trilogie oder die neusten Star Trek Filme. Dabei werden die einzelnen Filmsequenzen von einer sonoren Stimme eines wahnsinnigen Psychokillers kommentiert, der auch wirklich die eine oder andere Leiche im Keller liegen hat. Dabei werden die Filmsequenzen aus den einzelnen Filmen als Argumentationsgrundlage für seine Analyse verwendet.

Prinzipiell gesehen wird hier urheberrechtlich geschütztes Material verwendet. Da dieses Material aber kommentiert wird und es fast schulisch aufbereitet (mit einer durchaus sarkastischen Unternote), wird die Verwendung des Ursprungsmaterials als Fair Use ausgelegt. Die Macher des Videos wollen kein Geld mit der Marke Star Wars verdienen, in dem sie das Ursprungsmaterial plagiieren, sondern setzen sich kritisch mit dem Thema auseinander. Und zitieren durchaus korrekt ihre Quellen für ihre Analysen. Interessanterweise wurde dann nach 48 Stunden das Video zu einem Review zu Episode II nach einem Copyright-Anspruch von Comedy Central kurzzeitig von youtube gesperrt. Von Lucasfilm hätte man es ja erwartet… aber Comedy Central? Das fragliche Video wurde nach diversen Nachfragen dann doch wieder freigeschaltet. Die Art der Sperre lässt aber noch einen fahlen Beigeschmack. Wie das eine Mal, als das Megaupload Video nach einer Anfrage eines großen Musikkonzerns gesperrt wurde, da in dem Video einige ihrer Künstler aufgetreten sind. Und dies dann als Grund ansahen eine Takedown-Anfrage zu stellen. Auch wenn sich die Künstler frei dazu entschieden haben, bei dem Video mitzumachen. Und wir reden jetzt von Künstlern wie will.i.am, Kanye West, P Diddy oder Mary J Blige, deren Stimme schon etwas mehr Gewicht haben. Und hier zeigt sich dann die Doppelzüngigkeit und Bigotterie der Musikindustrie. Auf der einen Seite wird der Kampf gegen Onlinepiraterie mit stellenweise brutalen Mitteln geführt, auf der anderen Seite wird Onlinepiraterie auch gezielt eingesetzt, um Musik zu bewerben. Teils auch direkt gesteuert von den Künstlern selbst. Diese stellen natürlich nicht ihre kompletten Alben ins Netz. Aber mit vorzeitig veröffentlichten Demoversionen kann ein Künstler immer noch im Gespräch bleiben, auch wenn die nächste Single erst Monate später veröffentlicht wird. Das an den Liedern stellenweise noch viel gearbeitet wird, ist klar. Dafür sollte man dann später natürlich auch sein Geld dafür ausgeben, keine Frage. Lily Allen hat zum Beispiel eine Demo für ihr späteres Lied The Fear ca. ein Jahr in einem sehr fertigen Zustand auf ihrer Myspace-Seite veröffentlicht. Lady Gaga veröffentlicht öfters im Weintrunkenen Zustand auf ihrem youtube Kanal unveröffentlichtes Material. Oder … das Phänomen Justin Bieber.  Der kleine Wicht, der eigentlich jedem mittlerweile auf die Nerven geht, begann seine Karriere eigentlich mit selbst hochgeladenen Videos auf youtube, in denen er damals aktuelle Lieder nachsingt. Was de fakto auch wieder ein Urheberrechtsverstoß wäre.

Die derzeitigen Filter auf youtube sind schon sehr mächtig, und mir ist schon beim Hochladen des einen oder anderen Videos schon das eine oder andere angemerkt worden. Selbst wenn auf einem kleinen Video vom Jahrmarktrummel die Musik laut gespielt wird, wird schnell erkannt, dass da genau Lied X von Künstler Y im Hintergrund läuft und Musikfirma Z nicht möchte, dass da ihr Lied gespielt wird. Ich hatte einmal auch einmal rumgespielt mit dieser tollen iMovie Software. Da ist es unter anderem möglich, Trailer zusammenzuschneiden und dann direkt auf youtube hochzuladen. Steve Jobs selbst hatte auf der entsprechenden Keynote darauf hingewiesen, dass die Lieder von einem großen bekannten Orchester eingespielt wurden und die Verwendung eben dieser Lieder frei wäre. Entsprechend verwirrt war ich dann, als irgendwann genau diese Videos, deren Musik eigentlich frei sein sollten, von einer sehr trollartig anmutenden Rechte-Firma angemahnt wurden. Und da fühlt man sich zurückerinnert an den Megaupload Fall, wo man eher das Gefühl hatte, dass ein Video aus politischen Gründen, denn aus rechtlichen Gründen gesperrt wurde. Das ist heute schon alles möglich mit den aktuellen Gesetzen und Vereinbarungen. Natürlich ist das vielen Firmen noch zu wenig…

Und hier kommen SOPA, PIPA und ACTA ins Spiel. PIPA steht für Protect Intellectual Property Act, ein Gesetzesvorhaben, das den Schutz von geistigem Eigentum garantieren soll. In diesem weitsichtlich geschriebenen Text wird unter anderem festgelegt, dass der Zugang zu Webseiten auf denen urheberrechtlich geschütztes Material gesperrt werden sollte (siehe u.a. hier). Das heißt, befindet sich auf einer Webseite A auch nur ein urheberrechtlich geschütztes Bild, müssen sämtliche Webseiten, Suchmaschinen, etc. den direkten Zugriff unterbinden. Der schlaue Internet-User weiss sofort, dass bei Unterschrift des Gesetzes Webseiten wie youtube, 4chan, facebook oder auch wikipedia sofort eingestellt würden. Aber auch Wikileaks würde sofort endgültig geschlossen werden, da die whistlegeblowten Dokumente ja eigentlich urheberrechtlich geschützt sind. Übermäßiger Schutz vor Urheberrechten oder doch politisch motivierte Zensur? Das ist die Frage, die sich da stellt. Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert. Das aber aus diesem Weg eine Autobahn werden sollte, zeigt sich mit SOPA und ACTA.

SOPA steht für Stop Online Piracy Act und geht in die gleiche Richtung wir PIPA. Unter anderem sah SOPA vor, dass Zahlungswege zu Webseiten, die urheberrechtliches Material anbieten, gesperrt werden. Das letzte Mal, wo dies passiert ist, war… ja… Wikileaks gewesen, als Paypal, Mastercard und Konsorten die Kooperation einstellten… nach massiven Protesten und Lobbyarbeit einiger Politiker. Während PIPA nur den Zugang zu Webseiten einschränken sollte, geht SOPA noch einige Schritte weiter, so dass Internet Provider selbst blockieren sollten. Wir alle erinnern uns noch an das gewisse rote Stoppschild unserer damaligen Familienministerin von der Leyen. Mit SOPA wäre auch dieses Schild womöglich wieder reaktiviert worden. Die aktuelle Rechtslage derweil ist ausreichend um Webseiten unter einer .com-Domain „auszuräuchern“, wie dies letztens bei ebens erwähntem Megaupload geschehen ist. Mit SOPA könnten de fakto alle Webseiten ähnlich ausgehoben werden. Ausserdem sollen Anbieter von raubkopierten Dingen mit einer maximalen Höchststrafe von 5 Jahren hinter Gittern wandern. Schnell flog ein entsprechend sarkastisch motiviertes Bild durch das Internet, das Michael Jackson und seinen Leibarzt Conrad Murray zeigt mit der Unterschrift „Raubkopie eines Lieds von Michael Jackson – 5 Jahre Knast. Michael Jackson umbringen – 4 Jahre Knast.“ Irgendwo sind da die Verhältnisse umgekehrt.

Interessanterweise wäre eine Gesetzmachung von SOPA auch fatal auf weltweiter Ebene. Denn damit würden auch Anonymisierungstools wie Proxy Server oder Tor illegal. Doch nicht nur Raubkopierer nutzen diese Tools, sondern auch staatlich verfolgte Regimekritiker aus Syrien oder die Revolutionskräfte in Tunesien oder Ägypten nutzen solche Mittel um den staatlich gesteuerten Terrorismus zu überleben und die Aussenwelt eben von diesen Greueltaten zu informieren. Unterzeichnet man solch ein Gesetz, hilft man nicht demokratisch und freiheitlich motivierte Bewegungen, nein man wird selbst zu einem repressiven Regime.

Weiterhin würden Webseiten zu einer selbst rigorosen Selbstkontrolle verpflichtet werden, sonst würden sie gesperrt werden. Auch hier wären Twitter, Facebook und Wikipedia schnell die ersten Opfer. Aber selbst Webbrowser wie Firefox wären dann vor dem Ende, denn nur ein veröffentlichtes Plug-In, das helfen könnte, Raubkopien zu ziehen, könnte das Originalprogramm mit in den Abgrund reißen. Wir erinnern uns noch alle an den Hot Coffee Mod für GTA, der in der amerikanischen Politik für viel heiße Luft und leere Verkaufsflächen gesorgt hatte. Dort sorgte ein kleiner inoffizieller Zusatz für das Hauptspiel dafür, dass man explizite Stellungen nachspielen konnte. Viele Politiker, wie die damalige Senatorin Hillary Clinton, machten eine scharfe Lobbyarbeit gegen den weiteren Vertrieb des Hauptspiels aufgrund dieser Modifikation. Mit SOPA wär dieser Spezialfall eigentlich auf fast jede Software anwendbar. Doch nach einem großangelegten Protesttag Mitte Januar, als viele Webseiten wie Wikipedia ihren Betrieb für einen Tag abstellten, wurde ein Großteil der Öffentlichkeit aufmerksam auf das missformulierte Gesetzesvorhaben und kurze Zeit später wurde SOPA dann endlich auch abgeschossen.

Doch da liegt noch ACTA im Raum, a.k.a. Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Auch ACTA hat im Groben den Schutz des Geistigen Eigentums im Sinn, schießt aber natürlich auch hier weit über das Ziel hinaus. Im Gegensatz zu SOPA und PIPA ist ACTA kein USA-basierter Gesetzvorschlag, sondern ein internationales Handelsabkommen. Was steht denn da in ACTA alles drin?

Das wusste man lange Zeit lang nicht, denn der Vertrag wurde hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet. Ein Hoch auf den transparenten politischen Prozess. Erste Entwürfe des Vertrages wurden dann natürlich auch auf der entsprechenden Plattform veröffentlicht: Wikileaks. Mit am Verhandlungstisch saßen natürlich auch viele Vertreter aus der Medienecke. Viele Internetaktivisten befürchten ja seit Jahren, dass man solche Urheberrechtsgesetze schnell für staatliche Zensur missbrauchen könnte. Dass dann in den Verhandlungen aber einer der Verhandlungsführer der Filmindustrie genau diese Angst als Todschlagargument nimmt, stimmt einen doch sehr zynisch (siehe hier). Interessanterweise wurde der Vertragstext von den meisten Vertragspartnern vor kurzem unterzeichnet und zwar vom Botschafter der EU in Japan. Ein gefundenes Fressen für Verschwörungstheoretiker.

Was ist denn so durchgesickert vom Vertragstext? Nun ja. Es ist sehr schwammig formuliert. Unter anderem ist es möglich, dass bei Grenzkontrollen elektronische Geräte nach Raubkopien untersucht und konfisziert werden dürfen. Internet Provider sollen eine stärkere Präsenz zeigen und notfalls den Datenverkehr kontrollieren. Sieht man dann Urheberrechtsverletzungen im Datenverkehr, darf dann der Provider mit einem Three Strike-System stückweise den Internethahn zudrehen. Oder, wenn es nach dem BMWi gehen würde, würden Two Strikes ausreichen. Und so weiter und so fort. Der Vertrag wurde zwar jetzt schon unterschrieben, muss aber noch von den einzelnen Ländern ratifiziert werden. Und hier bildet sich schon der erste große Widerstand. In Polen zogen Mitglieder einer Partei symbolisch Guy Fawkes-Masken an, um die Unterzeichnung des Vertrages zu protestieren. Zeitgleich gehen immer mehr Leute auf die Strasse. Auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern soll am Samstag eine große Demonstrationswelle stattfinden.

Je mehr man sich solche Gesetzesvorschläge anschaut und sich durch den Kopf gehen lässt, fallen einem zwei Dinge sofort ein: 1984 ist nicht mehr weit weg von unserer heutigen Weltordnung und die Wiederauferstehung eines repressiven Staates mit Stasi-ähnlichen Methoden ist nicht mehr weit weg. Oder finde ich es eine Ironie des Schicksals, dass eine Partei, die aus dem „demokratischen Sozialismus“ entstanden ist, in der es auch verfassungsrechtliche Überwachung in Form der Stasi gab, heute vom Verfassungsschutz „beobachtet“ wird. Und das weil der Herr Innenminister „verfassungsfeindliche Tendenzen“ in eben dieser Partei sieht. Wenn selbst Politiker sich nicht mehr selbst gegenseitig trauen können, können diese Politiker dann noch ihren Bürgern trauen, die sie gewählt haben? Sieht man sich ACTA, SOPA und PIPA an… dann muss man wohl sagen eher nicht. Doch eine Bevölkerungsgruppe wird sich wohl neben der Unterhaltungsindustrie am meisten über solche Gesetze wie PIPA oder SOPA freuen: Abmahnanwälte. Erst vor kurzem hat eine Anwaltskanzlei Zahlungsaufforderungen die sich durch Abmahnung von Pornofilmen angehäuft haben versteigern lassen. Knapp 70000 Abmahnungen in einer Höhe von ungefähr 90 Millionen Euro… Stellt euch mal das Geld vor, dass man erst mit SOPA, PIPA und ACTA verdienen könnte…

Und das alles nur wegen der Angst vor Urheberrechtsverletzungen und Piraterie. Abschließend will ich noch einmal wieder zurückkommen auf die Musik der 80er Jahre. Oder noch weiter zurück. Hört euch mal dieses Lied hier an:

Amen Break – normal, fast and slow version

Das ist der Amen Break, ein Drum Solo aus einem Lied der Gruppe The Winstons. Kommt doch einem etwas bekannt vor, nicht? Sei es beim Theme Song der Power Puff Girls:

oder noch schneller:

oder wer es wieder Comic-mäßiger haben will:

oder wer generell mehr von dem Amen Break wissen will, sollte hier lesen. Wieso ich diesen kleinen Sample bringe? Dieses Sample ist eine der wohl am häufigsten verwendeten Liedzitate der Musikgeschichte. Egal ob für Techno oder Hip Hop oder auch nur für Intros für Zeichentrickserien. Würde man dieses Sample verwenden können in einer SOPA-, PIPA- oder ACTA-Welt? Wahrscheinlich nicht. Es zeigt aber auch, dass Kunst aus dem Zitieren entsteht. Und durch neues Arrangement und anderen Geschwindigkeiten kann so ein neues Musikstück entstehen. Und gerade deshalb sollten solche Gesetzesvorhaben, die angeblich die Künstler schützen sollen, bekämpft werden, gerade damit die Kreativität der Künstler geschützt werden kann…

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